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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 01.06.2003


Anne Maria Jagdfeld
Simone Kopiec, Sharon Adler

Interview mit der Inhaberin und Geschäftsführerin der AMJ-Holding designer shops and restaurants GmbH und des DEPARTMENTSTORE im Quartier 206, das Luxus-Warenhaus an der Friedrichstraße




Wir sprachen mit der charismatischen Geschäftsfrau und Mutter von 5 Söhnen über Design, Karriere, Visionen und Familie...

AVIVA-BERLIN: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Quartier 206 zu gründen - ein Luxuskaufhaus in Berlin? Damals war die Friedrichstraße ja noch geschäftliches Neuland?

Anne Maria Jagdfeld: Mein Mann hatte das Gebäude erworben und gemeinsam haben wir dann ein Konzept entworfen. Die Friedrichstraße war vor dem Krieg eine elegante Einkaufsmeile, das eigentliche Zentrum Berlins, an diese Tradition haben wir angeknüpft. Berlin als neue Hauptstadt brauchte kosmopolitisches Flair und Shoppingmöglichkeiten, die internationalen Standards entsprechen, deshalb haben wir entschieden, uns im oberen Segment zu positionieren.
Auch das Innere des Gebäudes sollte etwas Besonders sein, wir wollten ein edles und elegantes Ambiente schaffen. Ich denke, das ist uns gelungen. Mein Mann und ich versuchen, einen kleinen Beitrag zur Zukunft Berlins zu leisten.

AVIVA-BERLIN: Eine sehr mutige Entscheidung, entgegen aller Einwände das Konzept durchzusetzen?

Anne Maria Jagdfeld: Wenn Sie Unternehmerin sind und eine Vision haben, dann müssen Sie die auch durchsetzen. Es gibt in Deutschland viele Projekte, die sich meiner Meinung nach auf lange Sicht gut verkaufen lassen. Es ist natürlich immer schwieriger, etwas Neues zu etablieren, als einen eingefahrenen Weg zu gehen, aber ich glaube, dass man dadurch auch eine größere Chance hat.

AVIVA-BERLIN: Das Schwarz-Weiß-Design im Quartier 206 ist sehr ansprechend. Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen? Suchen Sie die schönen Dinge selbst aus?

Anne Maria Jagdfeld: Das ist ein Mosaik, was wir in einer Kirche in San Marco gefunden haben. Das Herz des Quartier 206 ist der DEPARTMENTSTORE, den wir kontinuierlich weiterentwickeln. Wir bekommen jetzt ein sehr schönes neues Parfum, das nur in fünf Geschäften weltweit erhältlich ist, ein wunderschöner Duft. Gerade haben wir unseren zweiten Katalog herausgegeben, um unsere Produkte - viele davon führen wir ja exklusiv für Deutschland - auch außerhalb Berlins zugänglich zu machen. Dieses Konzept kommt sehr gut an. Meine Pflichtlektüre sind Magazine. Ich lese englische und amerikanische Magazine: Harpers Bazaar, die Vogue, die französische und italienische Marie-Claire und viele andere. Ich habe immer ganze Stapel von Zeitschriften und Magazinen, das ist meine Beschäftigung, bevor ich abends ins Bett gehe. Für mich hat sich eine Zeitschrift schon gelohnt, wenn ich darin nur ein Stück finde, das mich inspiriert, das ich interpretieren oder in einen neuen Kontext stellen kann.

AVIVA-BERLIN: Sie sind als leidenschaftliche Sammlerin bekannt. Sammeln, nur um zu besitzen? Sehen Sie sich als Mäzenin der Kunst?

Anne Maria Jagdfeld: Nein, ich sammle aus Freude am Schönen, an der Ästhetik. Ich habe schon früh angefangen, Dinge zu sammeln, mit 15 oder 16 Jahren. Ich bin aber keine besessene Sammlerin, sondern sammle nur bis zu einem gewissen Punkt. Vor zehn Jahren habe ich begonnen, Schwarz-weiß-Photographie zu sammeln, zunächst ganz zufällig und unsystematisch. Eine italienische Freundin hat regelmäßig Ausstellungen organisiert, von ihr habe ich zuerst gekauft. Damals war Photographie noch nicht so teuer, ich setze mir immer ein begrenztes Budget. Für manche Exponate habe ich damals 2000 US-$ bezahlt, heute kosten sie bis zu 50. 000 US-$. Jetzt sammle ich regelmäßiger, kaufe zweimal pro Jahr auf Auktionen, aber auch Bilder von jungen und noch unbekannten Photografen, etwa von jungen Fotokünstlern aus Berlin.

AVIVA-BERLIN: Wie haben Sie angefangen, Photographie zu sammeln?

Anne Maria Jagdfeld: Es war zunächst nicht als Sammlung geplant. Ich habe nur Bilder gekauft, die mir persönlich gefielen. Erst später wurde mir bewußt, daß ich immer bestimmte Motive wähle: Porträits, Blumen und Modefotografien.

AVIVA-BERLIN: Haben Sie einen Lieblingsdesigner?

Anne Maria Jagdfeld: Dolce&Gabbana, Marni, Comme des Garcons oder Diane von Furstenberg mag ich sehr gerne.

AVIVA-BERLIN: Was ist Ihr persönlicher Lieblingsstil? Tragen Sie gern Kleider oder bevorzugen Sie grundsätzlich den Business-Look?

Anne Maria Jagdfeld: Wenn ich mit meinem Mann zu einem Empfang gehe oder zum Abendessen, dann trage ich auch Kleider, im Business aber am liebsten Anzüge. Wenn man sehr viel mit Mode zu tun hat, ist man froh, wenn man sich selbst zurücknehmen kann. Basics zum Beispiel kann man unproblematisch kombinieren. Ich habe meinen Stil in 25 Jahren so gut wie nicht geändert. Im Sommer trage ich sehr viel Weiß und Beige, Farbe ist für mich extrem schwierig. Man ist gewohnt, schwarz und dunkelblau zu tragen. Man fühlt sich zurückhaltender und unsichtbarer in einer dunklen Farbe.

AVIVA-BERLIN: Wie sehen Sie deutsche Mode im Gegensatz zur internationalen Mode?

Anne Maria Jagdfeld: Wenn Sie einen modebewussten Norditaliener nach Düsseldorf bringen, dann fühlt er sich vermutlich wie im Zirkus. Jeder hat ein anderes Modeempfinden. Für viele Menschen ist Kleidung auch eine Art Rüstung. Man sichert sich damit eine gewisse Klassenzugehörigkeit und Distanz und das ist vollkommen legitim.

AVIVA-BERLIN: Könnten Sie auch in Armut leben?

Anne Maria Jagdfeld: Wir haben uns alles selbst erarbeitet, mit sehr wenig Geld angefangen und es ging wunderbar. Ich habe mit 18 Jahren meine erste Wohnung gehabt, hatte sehr wenig Geld, mein erstes Auto habe ich für 50 Mark gekauft. Die Wohnung habe ich mir selbst mit schönen Dingen und Stoffen, mit einem gebastelten Tisch eingerichtet. Das wäre heute noch eine schöne ästhetische Wohnung und die hat fast nichts gekostet.

AVIVA-BERLIN: Also, kann man aus allem etwas machen?

Anne Maria Jagdfeld: Ich glaube nicht, dass eine gute Idee zwangsläufig nur mit viel Geld zu realisieren ist. Wenn man nicht viel Geld hat, dann geht man beispielsweise zum Schluss auf den Markt und kauft den Rest Blumen der Jahreszeit, im Frühling Osterglocken oder im Sommer Rosen und im Herbst Astern, die sind dann für Pfennige zu bekommen und man hat einen ganzen Arm voll Blumen.

AVIVA-BERLIN: Was müsste Ihrer Meinung nach erfunden werden?

Anne Maria Jagdfeld: Ich wünschte, ich könnte etwas erfinden, was es noch nicht gibt und was jedermann brauchen kann. Zum Beispiel einen neuen Verschluss für Coca-Cola-Dosen, der nicht nach innen, sondern nach außen geht.

AVIVA-BERLIN: Was ist Ihr persönliches Erfolgsgeheimnis und Ihr Credo als Unternehmerin?

Anne Maria Jagdfeld: Wenn ich vor die Situation gestellt werde, eine neue Aufgabe zu bewältigen, dann gehe ich sie auch an. Mein Lebensmotto - Carpe Diem. Abends versuche ich, den Tag abzuschließen. Morgen ist ein neuer Tag, wie Scarlett O´Hara immer sagte.
Meinen Kindern sage ich oft: das Wichtigste in Eurem Leben ist, dass Ihr einen Beruf findet, der Euch Freude macht und der Euch ausfüllt. Der Beruf nimmt soviel Lebensraum ein.Wie hat schon Einstein formuliert: Die Menschen brauchen ein gewisses Talent, danach aber Disziplin und Fleiß. Nicht aufgeben! Wenn man von einer Idee überzeugt ist, muss man sie auch durchsetzen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Aber man muss konsequent sein. Irgendwann wird man dann auch erfolgreich sein.

AVIVA-BERLIN: Wie erziehen Sie ihre fünf Jungs? Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?

Anne Maria Jagdfeld: Meine Jungs sind sehr bescheiden erzogen worden, das war uns wichtig. Neben den Primärtugenden waren uns auch die Sekundärtugenden sehr wichtig - Höflichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin, Respekt vor anderen Menschen.
Man muss Kinder anregen, sich zu entwickeln, von selbst kommt das nicht. Meine Kinder hatten zum Beispiel unter 18 Jahren keinen Fernseher im Zimmer, das gab es einfach nicht. Auch eine Stereoanlage hatten sie erst relativ spät und die mussten sie abends ausmachen. Uns war sehr wichtig, dass unsere Kinder eine humanistische Erziehung bekommen. Ich weiß nicht, ob meine Kinder besonders musikalisch sind, aber eine musikalische Erziehung finde ich wichtig. Heute sind meine Kinder froh, dass ich damals viele Dinge durchgesetzt habe: Klavierunterricht, Golf, Tennis und Skilaufen. Ich habe alle Kinder zum Hochseeangeln mitgenommen und damals für meine Kinder den Jagdschein gemacht.

AVIVA-BERLIN: Wie managen Sie Familie und das Quartier 206? Was sagen Sie zur Pisa-Studie?

Anne Maria Jagdfeld: Vier meiner Jungs sind schon groß. Drei von ihnen studieren, der Vierte macht im nächsten Jahr Abitur und der Kleinste, Hannibal, wird gerade 3 Jahre alt.
Ich habe sechs Monate im Jahr ein Kindermädchen. Drei Monate teile ich mir das mit meiner Mutter. Ich muss sagen, dass man sich als berufstätige Frau mit einem kleinen Kind immer zerrissen fühlt. Ich habe eigentlich permanent ein schlechtes Gewissen und fürchte, niemandem gerecht zu werden. Wenn ich im Büro bin, denke ich oft “ich verpasse zuviel von meinem Kind” und wenn ich mit meinem Kind zusammen bin, denke ich, ich habe soviel Arbeit, eigentlich müsste ich in meinem Büro sein.
Eine Studie hat belegt, dass in keinem anderen Land, außer in Deutschland, eine so starke Abhängigkeit zwischen dem Leistungsdruck auf die Kinder und dem sozialen Status der Eltern besteht. Nicht in Japan, nicht in Amerika, England und nicht in Frankreich.
Ausgerechnet hier, wo immer so getan wird, als ob so etwas nicht existiert.
Leistungsschwache Kinder werden weder zu Hause noch in der Schule richtig gefördert. In vielen deutschen Schulen wird niemand wirklich gefördert, nicht die Sozialbessergestellten und nicht die Sozialschwachen. Und die besonders Begabten werden eher ausgeschlossen.
Kinder lernen heute in deutschen Schulen nicht mehr zu lernen und diszipliniert zu sein.

AVIVA-BERLIN: Was bedeutet Freiheit für Sie?

Anne Maria Jagdfeld: Eigentlich will ich nicht frei sein, ich brauche nur das Gefühl der Freiheit haben. Ich könnte es nicht ertragen, mich eingeengt zu fühlen. Ich möchte gerne die Möglichkeit haben, zu reisen. Aber ich komme auch immer wieder gerne nach Hause, bin sehr gern wieder bei meiner Familie. Ich bin beständig - seit 25 Jahren gehe ich immer in das gleiche Hotel und ich habe gern immer die gleichen Menschen um mich herum.

AVIVA-BERLIN: Vielen Dank für das nette Gespräch.


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Beitrag vom 01.06.2003

AVIVA-Redaktion